Angedacht

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Angedacht

Liebe Leserin, lieber Leser,

Wer war Maria Magdalena? Sie ist wohl die bekannteste Frau unter den Freunden Jesu. Lukas stellt sie an die Spitze einer Gruppe von Schülerinnen (Lukas 8, 1-3). Nach Johannes 20, 11-18 ist sie die Erste, die dem Auferstandenen begegnet. Sie scheint Jesus auf seinem Weg von Anfang an begleitet zu haben. Nach Ostern gehört sie zur Jerusalemer Urgemeinde. Doch wer war Maria wirklich? Darauf gibt es spekulative Antworten. Die bekanntesten lauten: Sie sei eine „Sünderin“ gewesen, also eine ehemalige Prostituierte. Oder: Sie sei Jesu Geliebte gewesen. Ist an diesen Antworten etwas dran?

Wer einen Roman schreibt, kommt ohne Liebesgeschichte nicht aus. Das gilt heute wie damals. Dan Browns „Da Vinci Code“ folgt dieser Logik. Aber schon die ersten christlichen Schriftsteller (wohl auch allesamt Männer) rücken Maria immer näher an Jesus heran. Sie bedienen sich dabei des Tricks der sogenannten Pseudoepigraphen, also von Schriften, die eine Verfasserschaft eines Augenzeugen Jesu vortäuschen. Dazu zählen einige Bücher aus dem Neuen Testament, z.B. stammen die sogenannten Petrusbriefe sicher nicht aus der Feder des Apostels. Bei den Schriften, die es nicht in das Neue Testament geschafft haben, den Apokryphen, ist dieser Trick, sich eine glaubwürdige Verfasserschaft anzudichten, besonders beliebt. So behauptet das „Evangelium der Maria“, von eben jener Frau aus Magdala verfasst worden zu sein. Darin geht es um besondere Lehren Jesu, die Jesus nur Maria anvertraut hätte. Das sogenannte „Philippus-Evangelium“ bezeichnet Maria sogar als „Gefährtin Jesu“, die er mehr als alle anderen geliebt und auf den Mund geküsst hätte. Doch diese apokryphen Evangelien spiegeln eine späte Strömung des Urchristentums wider, die sogenannte Gnosis. Sie macht aus der christlichen Lehre eine Geheimbotschaft für eingeweihte Einzelne. Außerdem äußern sich diese gnostischen Schriften durchweg leib- und sexualitätsfeindlich. Wenn es hier um Küsse geht, dann stehen sie gerade nicht für Erotik, sondern für Wissensvermittlung und Inspiration durch den Lehrmeister. Ein 2012 aufgetauchtes Papyrus-Fragment, auf dem Jesus Maria Magdalena als „meine Frau“ bezeichnet, stellte sich zudem sehr schnell als Fälschung heraus. Fazit: Es gibt keine glaubwürdigen Quellen, die eine Liebesbeziehung zwischen Jesus und Maria belegen könnten. Außerdem passt eine Partnerschaft weder zur Lebensweise noch zur Botschaft des Jesus von Nazareth, zog er doch als besitzloser Wanderprediger durch die Lande und lebte familienfeindlich. Ja, seine exklusive Gottesbeziehung und seine Hoffnung auf das in Kürze hereinbrechende Reich Gottes ließen keinen Platz für eine Ehe oder Partnerschaft. Es gibt also keinen ernstzunehmenden Grund, eine Liebesbeziehung zwischen den beiden anzunehmen.

Dennoch halten sich derartige Gerüchte hartnäckig. Das entspringt wohl auch der männlichen Phantasie. Sie sieht in Maria nicht das, was sie ist: eine herausgehobene Jüngerin Jesu, sondern reduziert sie auf ihr Geschlecht: die Frau von Jesus. Die Kirchenväter gingen dann einen Schritt weiter in ihrer frauenfeindlichen Bibelauslegung. Sie lasen Maria in andere Geschichten hinein. Zum Beispiel in die Geschichte der namenlosen „Sünderin“ (Lukas 7, 36-50). Und schon hatte man aus der Jüngerin eine ehemalige Prostituierte gemacht.

Das kommt heraus, wenn nur ein Geschlecht bestimmt, wie man über historische Figuren reden und urteilen soll. Gut, wenn wir hier immer mehr Vielfalt zulassen. So wird unsere Auslegung vielfältiger und gerechter. Auch Maria Magdalena widerfährt so späte Gerechtigkeit.

Herzlich grüßt Sie
Ihr Pfarrer Matthias Leibach