Angedacht
„So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. (2. Buch Mose 3,10)
Liebe Leserin, lieber Leser,
Gott ist der große Beweger. Abraham soll aufbrechen in ein Land, das Gott ihm zeigen will. Und seitdem sind Isaak, Jakob, Josef und dann Mose immer wieder aufgefordert, in das verheißene Land, in die Freiheit aufzubrechen. Das zieht sich bis Jesus von Nazareth, der bekanntlich Wanderprediger war. Seine Wohnung war der Weg, ist die befreiende Bewegung hin zu uns Menschen.
Wir glauben, dass Gott auch heute noch spricht. Also ruft er dich und mich auch heute zum Aufbruch auf. Aber wohin? In was für ein verheißenes Land? Wer dieses Land wörtlich nimmt, kommt in Schwierigkeiten wie Israelis oder Palästinenser, die bis aufs Blut um Boden und Landbesitz kämpfen. Doch die Sprache der Bibel ist vieldeutig und metaphorisch. Ich glaube daher: Egal auf welchem Boden dieser Erde, wir sind aufgerufen, in einer Gesellschaft ohne Sklaverei, ohne Ausbeutung und Diskriminierung zu leben. Zum Beispiel in einem Land, in dem Männer und Frauen gleichberechtigt sind.
Um dorthin zu kommen, ist es noch ein weiter Weg. Das zeigt die erstmalige Veröffentlichung der bundesweiten Gewalt gegen Frauen. Jeden Tag versuchen drei Männer ihre Frauen oder Ex-Partnerinnen zu ermorden. Und jeden Tag gelingt dies einem. Übrigens keinem Ausländer, sondern einem deutschen, stinknormalen Mann aus allen Schichten. Die Zahlen sind schockierend. Und doch gibt es keinen gesellschaftlichen Aufschrei. Ich bin mir sicher, Gott schreit auf. Und Gott will, dass wir in Bewegung kommen. Dass wir aufbrechen aus der Sklaverei des Patriarchats und seiner mörderischen Strukturen hin zu einer Gesellschaft, wo Frauen sicher vor Männern sind. Ich zitiere aus einem Gedicht des Kabarettisten Bodo Wartke:
Ein Tag ohne
In einer Umfrage wurden Männer gefragt:
Was würdet ihr tun, wenn es einen ganzen Tag
lang keine Frauen gäbe, 24 Stunden lang?
Hier ist, was die Männer geantwortet ham’:
Ich würd’ den ganzen Tag lang in der Bude hocken
und in Ruhe Games auf’m Computer zocken.
Ich würde meine Freundin extrem vermissen
und ohne schlechtes Gewissen im Stehen pissen.
Ich würde mit den Jungs um die Häuser laufen
und mich endlich mal wieder voller Freude besaufen.
Wozu ich dann gepflegt eine Shisha rauch,
ich würd’ genau das Gleiche machen wie sonst auch.
Daraufhin wurden dann die Frauen gefragt:
Was würdet ihr tun, wenn es einen ganzen Tag
lang keine Männer gäbe, 24 Stunden lang?
Hier ist, was die Frauen geantwortet ham’:
Ich könnte endlich anzieh’n, was ich will,
egal, wie körperbetont oder schrill,
und werde nicht mehr dumm angequatscht,
beim Tanzen begrabscht und angetoucht.
Ich könnte im Dunkeln am Samstagabend
rausgehen ohne Angst zu haben,
dass man mich auf offener Straße umringt,
mich bedrängt, vergewaltigt und dann umbringt.
Offenbar gibt es hier, wie man sieht,
einen nicht ganz unerheblichen Unterschied,
was man so alles tun und lassen kann,
je nachdem, ob man eine Frau ist oder ein Mann.
Wenn die Welt einen Tag lang ohne Frauen wär’,
würden Männer einfach weiterleben so wie bisher.
Doch wenn sie ohne Männer wär’, würden Frauen
so banale Dinge tun wie sich nach draußen trauen.
Sie würden sich freier und sicherer fühl’n
und so geht es nicht nur manchen, sondern sicher viel’n.
Frauen wünschen sich vor uns keine Angst haben zu müssen.
Ich hab’ gedacht, wir Männer sollten das wissen.
Herzlich grüßt Sie
Ihr Pfarrer Matthias Leibach