Am Ende bleibt der Name

Eine Gewohnheit hat sich bei mir eingeschlichen. Nach der Bestattung am Grab gehe ich willkürlich durch den Waldfriedhof. Ich genieße die parkähnliche Situation und betrachte Grabsteine. Dabei lese ich Namen, deren Besitzer ich die Beerdigung gehalten hatte. Oft kannte ich die Toten und in der Regel erinnere ich mich an die trauernden Familien. Die Friedhofsatmosphäre erzeugt eine Stille und in ihr entsteht einen solidarisches Gefühl mit den Angehörigen. Und sobald ich selbst den Friedhof besuche, auf dem die verstorbenen Angehörigen beerdigt sind, werden mir die eigenen Wurzeln bewusst und kommen ins Nachdenken. Am Grab kann ich dem Trauerprozess eine Form geben und in ein würdiges Gedenken geraten. Es ist ein Ort der Melancholie und der stillen Hoffnung, ein Ort, an dem ich ganz bei mir selbst bin.

Veränderte Beerdigungskultur

Als ich vor einigen Wochen wieder mal Quer-Friedhof den Rückweg von ganz hinten einschlug, wurde mir deutlich, wie sich unsere Beerdigungskultur und damit Gedenkkultur verändert. Wo früher Gräber waren, sind nun lauter Vertiefungen zu sehen, ganze Felder werden nur noch von vereinzelten Gräbern genutzt und es finden sich zunehmend weniger Grabsteine, die stilistisch anspruchsvoll sind. Das wirkt sehr leer und hilflos. Zum Beispiel Baumbestattungen. Oft hört man, dass die eigene Asche dereinst wenigstens noch einem Baum dienen soll. Ob das für den Baum wirklich ein hilfreicher Dienst ist? Stehen doch auf den meisten schönen Friedhöfen Bäume und auch neben dem normalen Grab gedeiht manches Gehölz sehr gut. Und wann, vor allem, sobald man nicht mehr fahren kann, kommt man in einen weit entfernten Friedwald?

Dann höre ich das Argument: „Ich will den Hinterbliebenen mit einer Grabpflege keine Arbeit machen.“ Dieses Argument ist fragwürdig, denn das Grab dient ja vor allem auch der Familie, die einen Gedenkort haben möchte. Die Hinterbliebenen entscheiden letztlich, wie sie diesen Ort nutzen wollen. Selbst wenn man weit weg wohnt, weiß man um diesen Platz und sucht ihn gerne auf. Dort nehme ich mir Zeit, mich an die vielen Toten, die ich kannte, zu erinnern. Ich behaupte: Alle, die meinen, auf einen solchen Ort verzichten zu können, lügen sich was in die Tasche.

Und dann sieht man seit kurzem Stelen an den Küsten, auf denen Namen der See-Bestatteten zu lesen sind.

Alle diese neuen Formen nehmen uns mehr und mehr einen Ort zum Trauern. Sie tun das oftmals mit fadenscheinigen esoterischen Argumenten, führen zu Anonymisierung der Trauerkultur und zu Vereinzelung des Trauernden. Der mancherorts elende Zustand unserer Friedhöfe ist Ausdruck eines Prozesses, in dem die Vorstellungen des Christentums nicht mehr gewusst werden und leider auch Ausdruck einer Entsolidarisierung mit den Leidtragenden.

In die Obhut Gottes übergeben

Christen wissen, dass es keine Transformation gibt. Es gibt nach dem Tod eine Verwandlung, so sagt es der Apostel Paulus. Aber wir können nicht richtig fassen, was damit gemeint ist. Das soll aber auch nicht die Sorge der Angehörigen sein, weshalb werden diese Fragen in die Obhut Gottes übergeben. Das ist auch die Absicht vieler Formulierungen bei der Beerdigung selbst, wenn es heißt: „Es wird gesät verweslich und auferstehen unverweslich.“ Wir wissen nicht wirklich, was geschieht, vielmehr will uns Paulus sagen, vertraut Gott, er wird es richten. Wir aber sollten unsere Aufmerksamkeit darauf richten, würdiges Gedenken erlebbar zu machen und ihm Gestalt zu geben. Das wird den Verstorbenen gerecht. Hier möchte ich folgenden Gedanken in den Mittelpunkt rücken, der dem Tauf- und Rechtfertigungsverständnis des christlichen Glaubens entlehnt ist. Beobachten Sie sich, wie Sie sich an Verstorbene erinnern. Erst werden die Umstände des Todes erzählt, dann die Geschichte aus dem Leben, vor allem die, die die Beziehung zu ihr oder ihm erzählen, dann das Gesicht, der Blick und irgendwann bleibt eines: der Name. Ich weiß von meinen Urgroßvater eigentlich auch nur das, was er beruflich
gemacht hat und wie er hieß, mehr nicht. Lediglich der Name bleibt. Er besteht aus Buchstaben, vielleicht noch den Jahreszahlen. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“, so heißt es im Jesajabuch und auf der Tauf- und Totenglocke der Jakobuskirche findet sich der Satz: „Freut Euch, dass Eure Namen im Himmel geschrieben sind! (Lk 10.20)“

Man kann daraus eine Idee für die Grabgestaltung ableiten. Es sollte nur der Name gezeigt werden. Ein Stein, einfach und schön bearbeitet, so dass die Buchstaben wirken. Gute Schriften sind eine hohe Kunst. Alles andere ist überflüssig und manipuliert den Trauerprozess unnötig. Gerne lese ich einen Bibelspruch, der mich tröstet. Vielleicht ist eine Wiese mit Gedenksteinen, so wie wir es von den Judenfriedhöfen kennen am angemessensten und schützt vor einer aufwändigen Grabpflege. Damit würden auch die Friedhöfe eine einheitliche ruhige Gestalt bekommen und die Gemeinschaft der Lebenden und Toten erkennen lassen und das Totengedenken in einer stillen und würdigen Form ermöglichen. Und: Dort sieht man Menschen, die auch trauern und gedenken.

Autor Markus Geißendörfer

 

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